Pressebericht zur Ausstellung "Heimat – Identifikation im Wandel"
Wiesbadener Kurier vom 11.05.2016. Von Ulrike Brandenburg.

In der Wiesbadener Walkmühle beginnt die Ausstellung "Heimat – Identifikation im Wandel"

WIESBADEN - „Heimat – Identifikation im Wandel“ ist die aktuelle, vom Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main unterstützte Ausstellung in Wiesbadens Walkmühle überschrieben. Heimat, was ist das eigentlich? Neurobiologen zufolge entsteht das Heimatliche mittels emotional positiv konnotierter synaptischer Verfestigungen. Will heißen, es bindet uns an Orte, soziale Konstellationen, geistige und kulturelle Interessen und Phänomene und ganz besonders an Menschen. Wenn, wie im Falle von Flucht und Vertreibung, dieses komplexe Heimatgewebe reißt, wird Heimat zum Schmerz und doch zugleich zur offenen Utopie.

In Jean-Claude Ruggirellos Videoinstallation schwebt ein trotz Entwurzelung blühender Baum im Luftraum der Gedankenwelt. Die 1978 geborene Fotografin Anastasia Khoroshilova arbeitet mit der Konstruktion von identitätsstiftenden Räumen und Artefakten. So befragt die Künstlerin die russische Folklore auf ihre diskursiven Eigenheiten hin. Ebenfalls komplex argumentiert Silke Parras. Die Künstlerin malt Möbel, und am liebsten solche des Gelsenkirchener Barock. Mit der Transponierung dieses Neo-Prunkmöbels in das Schema barocker und klassizistischer Architektur-Aufrisse erreicht sie eine Ironie-Ebene, welche die kunstgeschichtliche Herleitung des sogenannten Kitsches auf seine internationalen kulturgeschichtlichen, sprich wertigen Konstituenten hin seziert.

Justine Otto, in Polen geboren und auch als Bühnenbildnerin aktiv, füllt das bürgerliche Wohnzimmer der 50er-Jahre mit virtuos gemalten Gemälden, die in ambivalenter Eindeutigkeit die menschenverachtenden Ideologien des 20. Jahrhunderts wieder auferstehen lassen.

Die Verwerfungen des 21. Jahrhunderts belegen die bekannten Fotografien Andrea Diefenbachs von Kindern moldawischer Arbeitsemigranten im heimatlichen und doch ungeborgenen Wohnumfeld. Die in Berlin und Tel Aviv lebende Video- und Performance-Künstlerin Sharon Paz schickt denn auch gleich das ganze Wohnzimmer auf die Reise – aufgrund der Fenster-Augen kann die Wohnung auch als Gedankenraum verstanden werden.

Ein Schwerpunkt der Arbeit der aus einer deutsch-türkischen Familie stammenden Selma Alaçam sind Genderthemen. Wenn die Künstlerin das eigene Gesicht mit dem deutschen Bundesadler schwarz stempelt, scheint sie sich zu verschleiern – in wessen Wahrnehmung auch immer. Ideologiekritisch ist auch die Arbeit von Renate Behla. Ihre auf Ungarn bezogene Installation aus Erde, Spaten und Kreuz lässt auch Assoziationen an den deutsch-nationalen Missbrauch des Heimatbegriffes zu.

Heimat als Identifikation im Wandel – 28 Künstlerinnen und Künstler versuchen sich gegenwärtig in der Walkmühle an Antworten. Diese können so konkret ausfallen wie bei Sara Nabil, die dankenswerterweise ihre im Nassauischen Kunstverein gezeigte, aus ihrem Aufenthalt in der Wiesbadener Flüchtlingsunterkunft heraus entstandene sehenswerte Installation präsentiert. Sie können so vordergründig poetisch daherkommen wie die koreanischen Kleiderbündel der renommierten Kimsooja oder so kontrastiv wie die Klischee-Lebensräume des Architekten Peter Trummer. Der Wiesbadener Axel Schweppe hat eine Klangcollage beigetragen, und Nicolas Werner, ebenfalls Wiesbaden, eine Installation.